„Ich will nicht abgetrieben werden“, sagte Natalie Dedreux, „ich will auf der Welt bleiben“. Die aufrüttelnden Worte in der Wahlarena der ARD-Arena 2017 berührten wohl Millionen Fernsehzuschauer – und auch Angela Merkel. Die Kanzlerin wurde von einer jungen Journalistin mit Down-Syndrom auf eine grundlegende Diskriminierung von ungeborenen Kindern mit Behinderung im Mutterleib hingewiesen. Wird beim ungeborenen Kind eine Behinderung diagnostiziert, ist eine Abtreibung aufgrund der medizinischen Indikation in Deutschland straffrei. Ein zeitliches Limit gibt es dafür nicht, sie ist theoretisch bis zum neunten Monat möglich, ohne dass man sich strafbar macht. Zum bevorstehenden Welt-Down-Syndrom-Tag am 21. März erinnert der Verein Down-Syndrom Hannover an diese Ungleichbehandlung. In einem offenen Brief an die Familienministerin Dr. Franziska Giffey beklagt der Verein den Abtreibungsautomatismus in Deutschland: „Wird durch vorgeburtliche Untersuchungen Trisomie 21 festgestellt, ist fast immer ein Schwangerschaftsabbruch die Folge“, resümiert Tanja Zurek, Vorsitzende des Down-Syndrom Vereins, nüchtern. Sie fordert daher eine umfassende Beratung für Eltern, die vor eine solch schwierige Entscheidung über Leben und Tod gestellt werden. Wer sich für das Menschenrecht auf Leben einsetze, gehe keinen religiösen oder christlichen Sonderweg, sondern er stehe auf dem Boden des Grundgesetzes. Die Tötung behinderter Menschen im Mutterleib bis kurz vor der Geburt sei eine der schlimmsten Formen der Diskriminierung. „Der Begriff der guten Hoffnung hat keine Chance mehr, die Schwangerschaft ist zu einer Kultur der Selektion geworden!“

Was hierzulande kaum bekannt ist: Die derzeitige Gesetzeslage erlaubt im Fall des Down-Syndroms eine Abtreibung zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft, auch die Tötung von lebensfähigen Föten. Die Eltern sind nicht verpflichtet, sich über die Entwicklungschancen ihres Kindes beraten zu lassen. „In aller Regel wird ihnen nicht mal ein solches Angebot gemacht“, beklagt Zurek. Der Down-Syndrom Verein Hannover fordert in seinem Brief an Giffey eine Gesetzesänderung: Kinder im Mutterleib – ob und mit oder ohne Behinderung – haben ein Recht auf Gleichbehandlung. Die Spätabtreibung dürfe deshalb auch bei diagnostizierter Beeinträchtigung nicht möglich sein und müsse so bestraft werden, wie bei Kindern ohne festgestellter Behinderung.

Weltweit wird jedes 800. Kind mit dem Down-Syndrom geboren, früher diskriminierend Mongolismus genannt. Beim Down-Syndrom ist das 21. Chromosom dreimal statt zweimal vorhanden, daher auch die Bezeichnung Trisomie 21. Zum Welt-Down-Syndrom-Tag weist der hannoversche Verein darauf hin, dass Eltern mit einem behinderten Kind nicht allein dastünden. Sie würden umfangreiche Unterstützung durch den Staat und entsprechende Organisationen wie spezifische Elterngruppen, Aktion Mensch oder die Lebenshilfe erhalten. Ethikerin Dr. Sigrid Graumann macht darauf aufmerksam, dass in der Gesellschaft oft noch ein falsches Bild herumschwirre. „Die verbreitete Angst vor einem Kind mit Down-Syndrom beruht nämlich weniger auf der Erfahrung von Familien, die ein Kind mit Down-Syndrom haben, als auf einem gesellschaftlichen Mythos, der allerdings ausgesprochen wirkungsvoll ist.“